
Ich war noch nie der Small Talker. Auch nicht vor der Endometriose. Das sind introvertierte Menschen selten.
Achtung: Introvertiert sein bedeutet nicht schüchtern sein. Der Unterschied zwischen extrovertierten und introvertierten Menschen ist eher (laut einem Vortrag, den ich mal über das Thema gehört habe):
Extrovertierte Menschen interessieren sich für das Objekt, introvertierte für das Subjekt. Oder anders gesagt: Extrovertierte sind mehr auf das Äußere, auf Objekte fokussiert (Was ist Dein Haus? Dein Auto? Dein Boot?). Introvertierte Menschen interessieren sich mehr für das Innere, beim Gegenüber und bei sich selbst (Fühlst Du Dich wohl in dem Haus? Erinnert es Dich an Deine Kindheit? Wieso fährst Du so ein großes Auto? Musst Du etwas kompensieren? Hast Du ein Boot, weil Du Dich nach der Freiheit sehnst?).
Eine Introvertierte unter Extrovertierten
Natürlich hat jeder ein bisschen von beiden Seiten in sich, jeder ist ein bisschen extro- und introvertiert. Der eine aber halt mehr in die eine, der andere mehr in die andere Richtung. So, und nu leben wir in einer Gesellschaft der Extrovertierten. Wenn man da mehr zur introvertierten Seite neigt, ist das nicht immer einfach. Auf der Arbeit wird Brainstorming etwa zum Spießroutenlauf. Als introvertierte Person funktioniert das Hirn nämlich besser, wenn man alleine in seinem Kämmerlein sitzt. Da kann man sich ganz ins sich zurückziehen, da kommen einem die besten Ideen. Extrovertierte blühen beim Brainstorming geradezu auf. Sie brauchen den unmittelbaren Austausch, um auf Ideen zu kommen. Und wie wirkt man als Introvertierte dann auf den Chef: Die bringt sich gar nicht ein!Die Small Talk-Tortur

Wie kam ich gleich noch mal darauf? – Ach ja, Small Talk. Der reinste Horror für Introvertierte. Mein Hirn rattert vergebens auf Hochtouren, um auf etwas zu kommen, was ich aussprechen könnte, ohne etwas zu sagen. Das ist ja im Grunde das Konzept vom Small Talk. Und dann noch mit einer Krankheit wie der Endometriose, die einen dazu zwingt, sich ständig mit existenziellen Themen auseinandersetzen zu müssen.
Weihnachten und Silvester sind so Anlässe, zu denen man oft nochmal in die Heimat fährt. Dort trifft man dann auf alte Bekannte. Und der Horror beginnt. Ich erinnere mich an eine Begegnung vor ein paar Jahren, als ich den Vater eines ehemaligen Schulfreundes auf einer Feier traf – ein paar Monate nach meiner zweiten OP. Die Begegnung begann schon mit der äußerst unangenehmen Frage, die jeder von uns kennt:
„Wie geht es Dir?“
(Beschissen. Hätte mir mein Leben anders vorgestellt. Hach, war das noch schön, als wir auf der Schule waren. Unbekümmert und voller Träume und Hoffnung in die Zukunft. Ach, hätte ich damals schon gewusst, was die Schmerzen bedeuten...)
„Gut. Danke!“
„Siehst gut aus! Hast noch ne super Figur, hör mal!“
(Kein Wunder. Man hat 4 Kilo aus mir herausoperiert und ich habe mir tagelang die Seele aus dem Leib gekotzt...)
„Danke. Und wie geht es XY (dem Schulfreund)?“
„Ja, sehr gut! Er ist jetzt wieder hierher gezogen, hat vor kurzem geheiratet und jetzt erwarten die beiden ein Kind. Hab gehört, ihr zwei habt auch geheiratet! Glückwunsch! Und, wie sieht es bei Euch mit Kindern aus?“
(Falsche Frage!)
„Och, da setze ich mich nicht unter Druck. Wenn es passieren soll, dann passiert es.“
„Ja, aber so lange sollte man sich damit auch nicht Zeit lassen. Irgendwann geht es dann nicht mehr.“ (Ist jetzt kein Scherz. Hat er echt gesagt.)
(Soll ich es ihm sagen? Geht ihn ja eigentlich nichts an.)
„Solltest Du Dir gut überlegen!“
(Man hat mir gerade einen Großteil meiner Eierstöcke und fast einen halben Meter Darm aus dem Bauch geschnitten, Du Vollhorst!!!)
„Wir haben es aber damit nicht so eilig.“
Kritischer Blick meines Gegenübers.
(Lieber schnell das Thema wechseln!)
„Und wo arbeitet XY jetzt?“
„Er hat eine Stelle hier bei XYZ gekriegt.“
(Alles klar. Das übliche Kleinstadt-Geklüngel. Hat der Partei-Freund seinem Sohn den Job besorgt. Schön. Da ist er ja jetzt abgesichert.)
„Und Du? Was hast Du gleich noch mal studiert?“
„Germanistik.“
Kritischer Blick meines Gegenübers.
„Ich unterrichte Deutsch für Migranten.“
(Mehr als die 5 Unterrichtsstunden am Tag würde ich auch nicht hinkriegen. Bin danach körperlich total am Ende und froh, wenn ich es gerade noch so nach Hause schaffe, ohne zusammenzubrechen).
„Ah, schön, schön.
Ein Schlückchen Sekt?“
(Seitdem ich die Hormone nehme, vertrage ich keinen Alkohol mehr. Bekomme sofort Kreislaufabstürze und Schüttelfrost von einem Schluck.)
„Nein danke, muss noch fahren.“
„Ach, da kommen ja XY und seine Frau!“
(Ach herrje! Sie sieht aus wie XYs Mutter, nur 20 Jahre jünger! Ob er einen Mutter-Komplex hat? Ist ja irgendwie fast rührend.)
„Hallo, Martina! Wie geht es Dir?“
(Oh no!)
Bilder: pixabay.com/CC0 1.0
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